Wohngeld werden müssen. „Verändert hat sich beim neuen Wohngeld, dass es viele Menschen gibt, die gerade an der Berechtigungsgrenze sind“, berichtet Beate Schärer, Abtei- lungsleiterin Soziales und Senioren in der Stadtverwaltung Schorndorf in Baden-Württemberg. „Mit Än- derung der Anspruchsgrenze fragt ein ganz neuer Personenkreis an, wobei auffällt, dass die nicht mehr aufs Amt kommen, sondern im Netz recherchieren und dann den Antrag nutzen, der bei uns auf der Homepage steht.“ Viele Kommunen machen al- lerdings auch proaktiv auf die Gesetzesänderungen aufmerksam. „Wir haben gemeinsam mit dem Diakonischen Werk einen Infoflyer entworfen“, sagt Florian Marré, Bür- germeister der 18.000 Einwohner zählenden Stadt Diepholz in Nie- dersachsen. „Enthalten sind Kon- taktdaten zum hiesigen Sozialamt, zum Sozialamt des Landkreises, den Stadtwerken, der Schuldnerberatung oder der Diepholzer Platte. Alle Informationen sind samt QR-Code und Ansprechpartner aufgelistet. Der Flyer wird mit dem kostenfrei- en Wochenblatt allen Haushalten zur Verfügung gestellt, um niedrig- schwellig alle Antragsberechtigten zu erreichen.“ Nun wird damit gerechnet, dass aus vormals 150 bis zu 600 Leistungsempfänger werden. Ob groß oder klein – alle Kommu- nen stehen vor einem gewaltigen Mehraufwand. Christian Aegerter, Hauptamtsleiter in Leipzig und seit Februar im Ruhestand, macht auf einen weiteren Umstand aufmerk- sam (siehe Interview in Kommune 2/2023): „Man muss bedenken, dass das Wohngeld immer dann neu berechnet werden muss, wenn sich das zu berücksichtigende Ein- kommen oder die Ausgaben ändern. Pro Wohngeldantragsteller werden demnach etwa vier Vorgänge pro Jahr bearbeitet. Das summiert sich. Wir gehen in Leipzig davon aus, dass wir künftig 15.000 zusätzli- che Wohngeldfälle haben. Mit den bisherigen Vorgängen summiert sich das auf 80.000 bis 100.000 zu bearbeitende Vorgänge pro Jahr.“ Was die Bearbeitung eines Wohn- geldantrags so aufwendig macht, sind die vielen notwendigen Do- kumente: der eigentliche Antrag auf Miet- oder Lastenzuschuss, Verdienstbescheinigungen aller im Haushalt lebenden Personen, die Mietbescheinigung und Betriebs- kostenabrechnungen, Nachweise über Mietzahlungen oder gegebe- nenfalls ein Eigentumsnachweis, Grundsteuerbescheid, Nachweise über bestehende Kredite, Jahres- kontoauszüge und Bausparverträge. Zudem müssen Leistungsbescheide über Arbeitslosengeld I oder II, BAföG oder Rentenbescheide, Kin- dergeldnachweise, Schwerbehinder- tennachweise und Nachweise über Unterhaltszahlungen vorgelegt wer- den. Der Gesetzgeber macht es nicht nur Antragstellern, sondern auch der eigenen Verwaltung schwer. Wäre Digitalisierung überhaupt eine Lösung? Wie unter einem Brennglas zeigt sich in der aktuellen Situation, wo Deutschland bei der Digitalisierung steht. Der im Rah- men des Onlinezugangsgesetzes (OZG) vorgesehene EfA-Online- Antrag ist nicht fertiggeworden, und hätte ohnehin keine einfache Anbindung an die unterschiedli- chen Fachverfahren in Kommunen erlaubt. Folglich haben die Bundes- länder die Reißleine gezogen, sind auf die bisher genutzten Software- Systeme zurückgefallen und haben diese gemäß den neuen Geset- zesvorgaben anpassen lassen: Die Lösung Aucoteam wird in vielen Kommunen Nordrhein-Westfalens genutzt, DiWo in ganz Sachsen und Teilen Baden-Württembergs, enaio in Niedersachsen – mal mit, meist ohne direkte Anbindung an ein Dokumenten-Management- System oder eine digitale Akte. Das bedeutet für die Verwaltung: viel Handarbeit. Dabei hätte es auch einfacher gehen können, denn ein Teil der Daten liegt in Verwaltungsregis- tern bereits vor. Christian Aegerter schätzt, dass „etwa die Hälfte der Daten, die man für das Wohngeld braucht, in staatlichen Registern vorhanden ist, zum Beispiel das Einkommen, die Zahl der unter- haltspflichtigen Kinder, die Höhe der Leistungen vom Jobcenter oder von der Kranken- oder Rentenver- sicherung.“ Allerdings wäre, um darauf automatisiert zuzugreifen, eine Verknüpfung der Register notwendig. Und so weit sind wir bekanntlich nicht. Für Aegerter, ei- ner der Autoren der „Dresdner For- derungen“, ergibt sich daraus nur eine Konsequenz: „Man kann nicht ständig neue Gesetze verabschie- den und die Umsetzung auf andere föderale Ebenen delegieren, wenn dort das Personal fehlt. Wir dürfen nur die Regelungen schaffen, die wir auch umsetzen können.“ Für Aegerter wären ohnehin Bund und Länder fürs Wohngeld zuständig – mit einem zentralen Portal, zentral bereitgestellten Formularen und Fachverfahren. Schließlich tragen sie auch die Kosten. Helmut Merschmann www.kommune21.de Kommune21 · 03/2023 9