Ländlicher Raum Digitale Landlust Co-Working-Spaces und Zwischennutzungsinitiativen sind vielerorts Vorboten einer neuen digitalen Landlust. Digitalarbeiter aus den Großstädten entdecken dadurch den ländlichen Raum und bleiben dort – wenn die Rahmenbedingungen passen. A lte Wohnzimmersessel, L a m p e n s c h i r m e m i t Quasten, zusammen- gesteckte Schreibtische aus MDF, bunte Teppiche, Zimmerpflanzen und ein abgestelltes Fahrrad – die- ser Co-Working-Space kommt dem eigenen Klischee recht nahe. Auf der großzügigen Fabriketage stehen 15 locker verteilte Arbeitsplätze mit Computer-Monitoren und Drucker- anschluss. Die Laptops bringen die Co-Worker selbst mit. An der Rückwand lehnt ein SUP-Brett vor einer Fototapete, welche die na- hen Elbauen im Sonnenuntergang zeigt. Der Arbeitsraum liegt nicht in Berlin-Kreuzberg oder im Ham- burger Schanzenviertel, sondern in Wittenberge in der Prignitz, im Nordwesten Brandenburgs. An diesem Freitagnachmittag sind nur drei Co-Worker anwesend; 30 sind es insgesamt, die sich die von der Stadt zur Verfügung gestellte Ört- lichkeit teilen. Vor drei Jahren haben sich die Elblandwerker als „Kooperative für Arbeit, Leben und Wandel“ gegründet. Die Stadt Wittenberge hatte nach Wegen gesucht, um dem tristen Leerstand vieler Gebäude und der grassierenden Landflucht zu begegnen und 2019 den Summer of Pioneers ausgerufen. Im Rahmen dieses Wettbewerbs wurden 20 Digitalarbeitende aus Großstädten wie Berlin, Hamburg und Zürich ausgewählt und eingeladen, für ein halbes Jahr ihre Zelte in Wittenber- ge aufzuschlagen. „Probewohnen und Co-Working auf dem Land“ lautete das Motto, das viele Stadt- verdrossene anzog, die für ihren Lebensunterhalt nicht viel mehr als eine schnelle Internet-Verbindung benötigen. Die Kommune stellte einen Co-Working-Space in einem alten Fabrikareal zur Verfügung, die städtische Wohnungsgesellschaft stiftete möblierte Wohnungen zum Pauschalpreis. „Der Schritt, dau- erhaft aufs Land zu ziehen, ist für viele Städter eine große Hürde“, sagt Martin Hahn, Bauamtsleiter von Wittenberge, der das Projekt maßgeblich unterstützt. „Mit dem Summer of Pioneers wurde eine Idee geboren, genau diese Hürde zu überwinden: Wohnen auf Zeit, Ausprobieren auf Zeit. Ich sehe in diesem Wohn- und Lebensmodell eine Chance für beide Seiten. So- wohl für diejenigen, die aus den Metropolen aus diversen Gründen aufs Land wechseln wollen. Aber auch für Kleinstädte im ländlichen Raum, weil sie Zuzug und kreative Ideen brauchen, um sich weiterent- wickeln zu können.“ Einer der Pioniere, der 2019 nach Wittenberge kam und seitdem dort lebt und arbeitet, ist Christian Soult. Der freiberufliche PR-Ma- nager und Projektberater stammt aus dem nahe gelegenen Pritzwalk und hat mehr als 20 Jahre in Berlin verbracht, bis er vom Summer of Pioneers erfuhr und sich für die Teilnahme bewarb. „Berlin wurde mir damals zu voll. Ich war viel in der Tech- und Start-up-Szene unter- wegs, wo sich die Events überschlu- gen. Ich wollte es ruhiger haben und mich dennoch einbringen und engagieren“, erinnert sich Soult, der nun als Community-Manager unter die Elblandwerker gegangen ist. G e g e n w ä r t i g s i n d i n d e m Netzwerk rund 300 Mitglieder versammelt. Dazu gehören die zugezogenen Digitalarbeiter wie etwa Software-Entwickler, Grafiker, IT-Berater und Produktentwickler sowie Entrepreneure wie die Firma Amos IT, die sich auf die Digitali- sierung von Kirchen und karitativen Einrichtungen spezialisiert hat. Aber auch „normale“ Menschen aus Wittenberge – Ärzte, Verwaltungs- mitarbeiter, Hebammen, Tischler und Lehrerinnen – gehören dazu. Der Mittelpunkt aller Aktivitäten ist der Stadtsalon Safari mitten im Zen trum, den die städtische Wohnungsgesellschaft für günstige Mietkonditionen zur Verfügung stellt. Dort finden regelmäßig Netz- 8 Kommune21 · 08/2023 www.kommune21.de